Was sind Haremsgruppen?
Haremsgruppen von Meerschweinchen halten wir für die natürlichste und empfehlenswerteste Haltung von Meerschweinchen. Eine Haremsgruppe besteht in der Regel aus einem kastrierten männlichen Meerschweinchen (Kastrat) und mehreren Meerschweinchendamen.
In allen Haremsgruppen in unserer Heimtierhaltung sollten das männliche Meerschweinchen kastriert sein, da eine Vermehrung von Meerschweinchen nicht unterstützt werden sollte (mehr Gedanken zu diesem Thema gibt es hier).
Ein Kastrat und ein Weibchen zusammen werden noch als Paar/Paarhaltung bezeichnet. Diese Kombination ist auch ganz gut für Meerschweinchen – da Meerschweinchen aber sehr soziale Herdentiere sind, ist eine größere Haremsgruppe mit mehreren Meerschweinchendamen für sie oftmals schöner.
Aufgabenteilung in der Haremsgruppe
Jedes Meerschweinchen übernimmt andere Aufgaben in der Haremsgruppe und muss mit jedem einzelnen anderen Meerschweinchen ein Übereinkommen finden, wie sie miteinander umgehen. Meistens jedoch ist ein Meerschweinchen in der Rangordnung am höchsten und übernimmt die Leitung der Gruppe – in der Regel ist dies ein Weibchen. Dieses Weibchen strahlt meist eine natürliche Autorität aus und hat Gewalt nicht nötig, um andere zu dominieren, sondern geht ruhig und geschickt kommunizierend vor und kann den anderen Tieren durch seine Ausstrahlung und Erfahrung Sicherheit vermitteln, so dass sie sich auch bereitwillig unterordnen. Der Kastrat hat andere Aufgaben und soll für Ruhe zwischen den Mädchen sorgen (dies mit ganz unterschiedlichen Strategien - und er muss seine Damen dabei auch mal Situationen ausdiskutieren lassen, wird also nicht immer oder auch nicht immer sichtbar in Streit-Situationen einschreiten).
Die Rangordnung von Meerschweinchen kann man nicht vorhersehen, nicht beeinflussen und sie ist auch nicht immer klassisch hierarchisch gestaltet mit einem Tier, was die Gruppe anführt und alle anderen dominiert – diese Auffassung von einer linearen Struktur bzw. Hierarchie in Tier-Herden ist mittlerweile überholt.
Um herauszufinden, wie die Rangordnung der eigenen Meerschweinchen aussieht, beobachtet man sie am besten immer wieder in den unterschiedlichen Situationen.
Wenn ein Meerschweinchen in einer Gruppe ranghoch oder sehr dominant war, heißt dies nicht, dass dies ebenfalls der Fall in einer anderen Gruppe sein muss.
Dies ist ein großes Thema, über das man stundenlang schreiben könnte – noch ein paar mehr Infos und Gedanken zur Rangordnung bei Meerschweinchen könnt ihr hier nachlesen.
Nur ein Kastrat pro Haremsgruppe
In der Natur dulden männliche Meerschweinchen in der Regel keine weiteren Jungs in ihrer Gruppe und verjagen sie. Sie wollen ihre Mädels für sich haben – in der Natur dient dies dazu, damit dieses Männchen sein Erbgut durch viele Jungtiere mit diesen Weibchen verbreiten kann. Andere erwachsene Böckchen sind daher Konkurrenz für ihn, die vertrieben werden muss. Eine Ausnahme stellen männliche Jungtiere dar bis zu einem Alter von wenigen Monaten. Danach werden auch sie verjagt, auch, wenn es die eigenen Nachkommen sind.
Mehrere männliche Meerschweinchen in einer Gruppe mit Damen führen daher in der Regel immer zu Stress – auch, wenn diese Jungs kastriert sind in unserer Heimtierhaltung.
Dies alles gilt auch für Frühkastrate (mehr Infos hier). Erwachsene Frühkastrate verhalten sich unseren Erfahrungen nach genau wie normale Kastrate und weder sind sie neutral noch werden sie von anderen Meerschweinchen nicht als Männchen erkannt, wie manchmal behauptet wird. Erwachsen gewordene Frühkastraten sind unserer Erfahrung nach genauso wenig tolerant, was andere Kastraten in der Haremsgruppe mit Mädels angeht, wie normale Kastraten. Am Anfang, wenn sie noch jung sind, klappt es manchmal noch, aber wenn sie erwachsen geworden sind, entscheiden sie oft auch, dass sie nun Mädchen nur für sich haben wollen und beginnen, gegen den anderen Kastraten in der Gruppe zu kämpfen.
Selten klappt es dennoch mit zwei Kastraten in einer Gruppe – häufig dann, wenn sehr viel Platz besteht im Gehege (15-20 qm) und es über 15-20 Meerschweinchendamen gibt. Bei kleineren Gruppen und kleineren Gehegen funktioniert eine Haremsgruppe mit zwei Kastraten nur extrem selten – dies liegt dann meist am sanftmütigen Charakter der Kastraten oder weil die Jungs vor ihrem Einzug bei den Damen schon eng befreundet und harmonisch waren. Generell ist es ein sehr seltenes Glück. Meist geht es ziemlich schief und man kann von Glück sagen, wenn dann kein Tier dabei zu Schaden kam.
Selbst, wenn dies eine Weile gut geht und nicht gleich zu Beginn in (ggf. gefährlichen) Kämpfen ausartet, so kann es sich auch später noch ohne Vorwarnung schnell hochschaukeln und in Mord und Totschlag enden und auch die Damen stressen und verletzten. Es ist für keins der beteiligten Tiere fair und sehr stressig und gefährlich für alle beteiligten Meerschweinchen.
Nicht immer ist es zudem deutlich sichtbar, dass einer der Kastraten unter dem anderen leidet und Angst vor ihm hat oder gestresst ist, weil er sich ständig unterordnen muss. Dies ist kein schönes Leben. Daher empfehlen wir, dies lieber nicht zu probieren.
Man tut den Tieren in den Regel keinen Gefallen und jeder Kastrat hat eine eigene Mädelsgruppe für sich und ein stressfreies Leben ohne Angst vor einem Widersacher verdient. Zwei Kastrate in einer Gruppe Mädchen sind bei Meerschweinchen in der Regel halt einfach keine gute Idee.
In den folgend verlinkten Videos kann man sehen, wie zwei kastrierte Brüder nun um die Damen der Meerschweinchengruppe kämpfen. Die zwei Jungs hatten sich zuvor unkastriert in ihrer Jugend noch ohne Damen gut verstanden. Der dunklere Bruder war bereits ein ¾ Jahr bei dieser Gruppe und ihm "gehörten" somit die Damen. Der hellere Bruder war auf der Suche nach einem neuen Zuhause und da beide Brüder so freundlich und tolerant wirkten, wurde probiert, ob sie beide in dieser Gruppe harmonisch zusammenleben können. Sie wurden nach dem vierten Video getrennt, da es nun langsam gefährlich wurde und auch offensichtlich war, dass eine Gruppe mit beiden Kastraten so nicht funktionieren wird. Dies wäre auch für keinen der Jungs fair gewesen, denn es wäre immer stressig geblieben – und auch die Mädels hätten darunter gelitten.
Man sieht in den Videos gut, wie sich die Situation langsam hochschaukelt. Anfangs äussern die zwei Jungs einfach, dass der andere sie stört mit Zähneklappern und drohen. Dann kommt es zum Verfolgen und Jagen, anschliessend zu frontalen Angriffspositionen und auch zum Anspringen. Anschliessend wurde der Versuch abgebrochen und ein Kastrat aus der Gruppe genommen, damit er seine eigenen Mädchen erhalten kann. Anspringen, Drohen und Verfolgen kann eine normale Rangordnungssituation zu Beginn des Kennenlernens von Meerschweinchen sein – tritt dies jedoch immer wieder auf und beruhigt sich gar nicht oder steigert sich in der Intensität (wie es in diesem Fall mit den zwei Kastraten über mehrere Tage der Fall war), dann sollte abgebrochen und die Tiere getrennt werden. Mehr über solche Situationen bei der Rangordnungsklärung der Vergesellschaftung ist hier nachzulesen.
Diese zwei Kastrate sind eher gemütliche Kerle gewesen und zudem gut sozialisiert und freundlich. Sie sind keine Draufgänger gewesen und kannten sich schon lange. Daher sieht man in den folgenden Videos noch sehr "freundliches" Drohgehabe. Es gibt auch ganz andere Kategorien, in denen die Jungs gleich aufeinander losgehen, ohne so zu drohen und vorsichtig die Grenzen auszuloten. Dann kann es auch schnell sehr gefährlich werden. Es liegt in der Verantwortung des Menschen, solche Situationen zu verhindern und bereits zuvor einzugreifen.
1 https://youtu.be/05z83urr_gM In diesem Video beginnen sich die zwei Kastrate zu verfolgen, nachdem sie durch Fellaufstellen, ungehaltenen Gesichtsausdruck und mit den Zähnen klappern ihre Antisympathie deutlich gemacht haben und versucht haben, den anderen Kastraten unterzuordnen. Sie fressen dabei noch und sind somit noch nicht ganz angespannt.
2 https://youtu.be/fgP7cTN509M Hier scheuchen sich die Zwei nun schon etwas schneller und sind etwas angespannter. Auch die Mädchen bekommen Stress, dies sieht man an dem hektischen Sprung eines Mädchens aus der Hängematte bei Sekunde 8. Manchmal hacken sich die Jungs dann schon in den Hintern und rupfen einander Fell aus als Drohung. Diese Zwei hier waren noch zu gesittet dafür, aber es kommt bereits zu leichten frontalen Angriffspositionen.
3 https://youtu.be/bgHF5jX4aCY Hier sieht man bei Sekunde 37, wie der Chef des Harems (er lebte schon länger in der Gruppe, bevor sein Bruder ebenfalls integriert werden sollte) den Eindringling anspringt – nun geht es in den Angriff über. Auch anhand der ausdrucksstarken Lautäusserungen wird deutlich, dass die zwei Jungs aufgeregt und in Kampfposition sind.
4 https://youtu.be/H8Db88Sn4zg Bei 0:35 und bei 1:10 in diesem Video gehen die Zwei hier Zähneklappernd wieder in die frontale Angriffsposition über – sie springen sich aber nicht mehr an. Dazu fehlt aber nicht viel. Da diese beiden Jungs sehr gut erzogen und sozial sind und sich schon lange kannten zuvor, sieht dies hier alles noch relativ harmlos aus, da sie sich nur anklappern und in Angriffsposition auf den anderen zurennen, im Zweifel auch wieder Abstand nehmen. Aber man darf sich nicht täuschen lassen – dies ist bitterer Ernst und binnen Sekunden kann es in solchen Situationen zu einem Ansprung, Kampf und Verletzungen bis hin zu einem Kehlbiss aus Versehen im Affekt oder im Notfall bei dem Gefühl der Bedrohung kommen. Man sollte abbrechen, bevor es eskaliert, so wie hier im Video an dieser Stelle die Vergesellschaftung beendet wurde.
Problematik Böckchen-Überschuss
Männliche Meerschweinchen sind leider in der Regel nicht dafür gemacht, mit anderen Schweinchenjungs zu leben. Am natürlichsten sind, wie erwähnt, Haremsgruppen aus einem Kastraten mit mehreren Weibchen. Das führt aber dazu, dass es zu viele "übrige" männliche Meerschweinchen gibt – es herrscht ein Jungs-Überschuss. Daher werden die Böcke, die sich mit anderen Jungs verstehen (dies wird als "bockverträglich" bezeichnet), gerne in Boygroups/Jungsgruppen aus mehreren Meerschweinchen-Jungs untergebracht. Leider lassen sich nur wenige Schweinejungs in dieser Konstellation halten und dies ist eher etwas für erfahrene Meerschweinchenhalter. Viele Halter trauen sich eine Jungsgruppe verständlicherweise nicht zu.
Dennoch sind Jungsgruppen sinnvoll und toll, wenn sie harmonisch sind – sie ermöglichen eine Reduktion des Böckchen-Überschuss, der überall vorliegt. Dieser entsteht dadurch, dass die Jungs oft nur mit mehreren Damen gehalten werden können.
Wir freuen uns daher immer, wenn jemand sich dazu entschliesst, eine Jungsgruppe aufzunehmen! :-)
Mehr Infos zu Jungsgruppen gibt es hier.
(Es ist dennoch unbedingt ratsam als Altersvorsorge und zur Reduktion des hormonellen Stresses auch männliche Meerschweinchen in Jungsgruppen kastrieren zu lassen. Mehr Infos zur Kastration könnt ihr hier nachlesen.)
Haremsgruppen als gute Gruppe für Jungtiere
Junge Meerschweinchen sollten bis zu einem Alter von ca. 1-1,5 Jahre nie ohne mindestens ein älteres Meerschweinchen als Erzieher aufwachsen und immer mindestens einen gleichaltrigen Spielgefährten haben.
Ansonsten kann es sein, dass die jungen Meerschweinchen ihr Leben lang Probleme in der Kommunikation mit anderen Meerschweinchen haben werden, was das Glück ihres Lebens deutlich mindern kann.
Gerade das Fehlen eines Erziehers kann sich schädlich auf die Sozialisierung der jungen Meerschweinchens auswirken und später im Zusammenleben mit anderen Meerschweinchen immer wieder zu Kommunikations-Problemen führen. Neben einem Erzieher ist auch die Anwesenheit weiterer Jungtiere im ähnlichen Alter zum gemeinsamen Spielen und Lernen wichtig für die Entwicklung junger Meerschweinchen.
Mehr Infos über Erziehermeerschweinchen und geeignete Gruppen für Jungtiere sind hier zu lesen.
Aber auch die erwachsenen Meerschweinchen sollten nicht nur unter Jungtieren sein und wünschen sich auch gleichaltrige Partnertiere.
Eine optimale Haremsgruppe, die sich zum Aufwachsen und zur Erziehung von jungen Meerschweinchen ab einem Alter von ca. 6 Wochen eignet, beginnt daher im Optimalfall bei einer Gruppengröße von 4 Meerschweinchen mit zwei Jungtieren (Jungtiere: Meerschweinchen unter 1-1,5 Jahre) im ähnlichen Alter und zwei erwachsenen Erzieher-Meerschweinchen (ab ca. 1,5-2 Jahre).
Grundlagen für ein harmonischen Zusammenleben
Gibt es Streit in Haremsgruppen, kann dies an verschiedenen Faktoren liegen.
Die Größe und Gestaltung des Geheges sind sehr wichtige Faktoren, ob Haremsgruppen harmonisch sein können. Zu kleine Gehege kann Stress für Meerschweinchen sein und zu Frustration und dementsprechend zu Streit führen. Meerschweinchen sind sehr agil und haben einen hohen Bewegungsbedarf. Hier gibt es Infos zum Platzbedarf von Meerschweinchen.
Auch Langeweile führt zu Frustration und Unterhaltungsmöglichkeiten sind für so neugierige und schlaue Meerschweinchen sehr wichtig. Hier kann man Anregungen zur Gestaltung von Innengehegen lesen und hier zu Außengehegen.
Ebenfalls ist zu wenig Frischfutter eine häufige Ursache für Streit unter Meerschweinchen. Hier gibt es diesbezüglich viele wichtige Infos zur Ernährung von Meerschweinchen.
Weitere Faktoren wie die Gesundheit und Zusammensetzung von Haremsgruppen können die Harmonie in der Gruppe beeinflussen. Hier im Link gehen wir detaillierter auf die Ursachen von Stress in Haremsgruppen ein.