Der Wert vom "da sein".
Am Freitag brachte ich Ennie und Bluebelle zum Tierarzt für Ennies Not-OP, ich fuhr 50 Minuten pro Strecke und auf dem Rückweg ohne die Tiere hatte ich dann Musik angemacht und ein neues Lied von James Blunt gehört:
"I told you" heißt es und es hat mich berührt, denn es geht grob gesagt darum, dass das Gegenüber weiß, dass man da ist.
Und ich glaube, darum geht es, auch im Leben:
Dass da jemand da ist für uns.
Von jemandem gesehen zu werden.
Begleitet zu werden.
Getragen zu werden durch die Kraft, die wir aus Beziehungen zu anderen erhalten.
Geliebt zu werden.
Was auch immer unsere Tiere mitbringen, welche schlimmen Krankheiten oder Probleme sie in sich haben und auch, wenn wir manchmal daran nichts ändern können:
es zählt, dass wir da waren und sie gesehen haben.
Dass wir ihren Schmerz und ihre Angst sehen, ihnen Liebe schenken und für sie kämpfen.
Es gibt wohl nichts Schlimmeres, als wenn ein Lebewesen nicht gesehen wird und sich nicht geliebt fühlt, ganz alleine vor sich hin leiden muss...
Wir alle machen Fehler, das ist nur normal und wir alle zermartern uns manchmal das Hirn, ob diese oder jene Entscheidung wohl richtig war in Bezug auf die Tiere.
Wir können nur jeder unser Bestes versuchen.
Was ich so vielen oft schreibe, die zweifeln, ob sie das richtige getan haben und was ich mir selbst auch in Momenten des Zweifels sage:
Wir bekommen diese Tiere mit diesen Krankheiten und können nur tun, was wir nach Wissen und Gewissen und Bauchgefühl in dieser Situation für das Beste für das Tier halten.
Was zählt, ist wirklich die Liebe.
Für unsere Tiere ist in meinen Augen am Ende nicht wichtig, ob wir nun immer alles richtig gemacht haben, so denken sie nicht. Für sie zählt, dass da jemand für sie da war und ihre Bedürfnisse wahrgenommen hat.
Unsere Tiere waren nicht alleine, in den schlimmsten und dunkelsten Momenten war da jemand, der ihr Leid gesehen hat und es mitgetragen hat, der mit ihnen mit gekämpft und mit ihnen gelitten hat.
Jemand, der sie nicht alleine ließ, auch wenn es schwer wurde.
Da gab es jemanden, der sie mit Liebe begleitet hat, nicht zuletzt am Ende vielleicht in eine andere Welt, die sich unseren irdischen Sinnen entzieht.
Alles was zählt, ist, dass wir mit ganzem Herzen für unser Gegenüber da sind in solchen Momenten.
Das Lied von James Blunt soll wohl noch ein bisschen was anderes sagen, aber für mich bedeutet es halt das und es hat mich am Freitag daher sehr getröstet und mich gestärkt.
Ich bin später wieder 50 Minuten zum Tierarzt gefahren und dann mit Ennie und Bluebelle auch wieder zurück.
Und auf der Rückfahrt habe ich die ganze Zeit den Refrain dieses Liedes leise gesungen oder die Melodie gesummt
Und ich habe immer wieder gesagt, wie stolz ich auf Ennie und aber auch auf die tapfere Bluebelle bin.
Wie toll und stark sie sind und dass ich sehe, wie viel Angst sie haben müssen und dass ich da bin, dass sie auf keinen Fall alleine sind und wir zusammen alles schaffen können, weil wir uns haben und weil wir uns so liebhaben.
Ich hab an meine beiden kleinen Schätzchen in der Box auf dem Boden vor dem Beifahrersitz vorne (damit ich schnell immer wieder die zwei warmen Wasserhandschuhe zwischen ihnen jonglieren und sie checken kann während der Fahrt) gedacht, die sicher so viel Angst hatten...
Und an diese kleine wunderbare Ennie, die alle so sehr berührt hatte durch ihrem Kämpfergeist, die so stark war und so erschöpft und die trotz allem doch so super Brei von mir nahm beim Tierarzt noch, die so gut aussah noch...
Ich wusste zu diesem Zeitpunkt (trotz meines eigentlich warnenden Bauchgefühls) noch nicht, dass Ennies Zustand kippte während dieser Rückfahrt, ich sie zuhause dann blutig am Bauch (es lief Blut aus der OP-Wunde) in schlechterem Zustand aus der Box holen würde und dass es keine Hoffnung geben würde.
Aber auch wenn Ennie den Tag am Ende nicht überlebt hat, mich tröstet, dass sie nicht alleine war, nicht eine Minute.
Man kann nämlich ja auch unter ganz vielen Menschen sein und sich furchtbar alleine fühlen!
Aber Ennie wusste hoffentlich, dass ich und andere in der Ferne gedanklich und mit unseren Herzen bei ihr waren und sie war derweil bei einer Tierärztin, die sich gesorgt hat und die voller Liebe dem unbekannten Tier gegenüber alles versucht hat, um die besten Chancen für dieses kleine Wesen erzielen zu können.
An diesem Abend bin ich dann noch "ich brauche Hilfe, mir verblutet hier ein Meerschweinchen!"-schreiend bei einem Tierarzt in der Nähe in die Praxis gerannt - die Box mit der verblutenden Ennie und ihrem Freund Quenni in den Armen.
Es war vorne keiner in der Praxis und ich war so aufgelöst, dass da keiner ist gerade in dem Moment, wo ich die meiste Hilfe brauchte. Es ist sonst immer wer da, wenn ich da normal warte.
Ich rief "ich brauche Hilfe, ist hier denn keiner?"
Plötzlich rannte mir eine Tierarzthelferin den Gang entgegen und schob mich mit den Worten "ich bin da! Ich höre Sie! Hier in den Raum bitte, der Tierarzt kommt sofort!" in einen Behandlungsraum.
Und ich kann nicht beschreiben, wie sehr diese Worte mir die Angst nahmen.
Es machte die Situation nicht besser und änderte eigentlich nichts an Ennies kritischer Lage, aber ich war nicht mehr alleine und da kam Hilfe und ich war auf alles eingestellt und wusste, wir hatten wohl keine Chance, aber sie waren da für uns und sie waren lieb und ruhig und kompetent mit Ennie und auch mit mir (und Ennie wirkte trotz allem so gut, unglaublich. Sie nahm danach ja sogar wieder Brei.)
Zuhause dann war aber irgendwann klar, dass Ennie wohl bald sterben wird, obwohl erst alles so gut ausgesehen hat und ich war einfach froh, dass sie meiner Wahrnehmung nach keine Schmerzen hatte und dass wir zu Hause waren. Dass ich und die anderen Tiere da waren und sie getragen von Wärme und Liebe und Ruhe gehen durfte.
Da war so viel Frieden um uns herum.
Ich war alleine zu Hause und das war schon okay so, aber in der Ferne dachten liebe Menschen an uns und schrieben mir: "wenn was ist, wir sind da!".
Und das hilft.
Es tut einfach gut zu wissen, dass da jemand ist, sollte etwas sein.
Dass man nicht alleine ist.
Es stärkt und ist Zeichen einer Liebe, die das Leben wohl lebenswert macht.
Was wären wir ohne die Menschen und Tiere, die uns lieben?
Manch einer wird wohl denken: das ist doch nur ein kleines Meerschweinchen...
Aber für uns nicht.
Für uns sind das Familienmitglieder, Freunde, wichtige Lebewesen mit Gefühlen.
Für uns sind das Gegenüber, welche wir lieben und welche uns so viel schenken und bedeuten.
Und welche uns auch lieben.
Diese kleinen Wesen berühren mein Herz in immer wieder unglaublicher Tiefe, ob sie nun zwei Tage, zwei Wochen oder zwei Jahre bei mir sind.
Ab dem Moment, in dem sie zu mir gehören, gehören sie zu mir und sind mir anvertraut. Sie werden ein Teil von mir, daran ändert unterschiedliche Körpergröße gar nichts.
Ich fühle mich für ihr Glück verantwortlich und ich versuche immer, das Beste in ihrem Sinne zu geben.
Auch unsere Tiere haben Gefühle und Bedürfnisse, genauso wie wir Menschen, und auch wenn wir nicht die selbe Sprache sprechen oder etwas anderes denken, so sind wir doch verbunden durch die Sprache des Herzens.
Ich bin ganz sicher, dass unsere Tiere spüren, wie sehr wir sie lieben und sie merken ganz genau, wenn da jemand für sie da ist.
Da zu sein ist manchmal alles, was wir tun können und auch, wenn es vielleicht dann manchmal auf uns wirkt, als wäre es nichts, so ist es manchmal tatsächlich alles, was zählt.
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"I told you", James Blunt:
In Gedenken an unsere kleine außergewöhnliche, fröhliche, neugierige, mutige, aufgeweckte Notmeerschweinchen-Dame Ennie
("Gwendolyn Sunrise" - 12/2017-1/2020)